13.11.2024

Stadt, Land, Konflikt? – Eine Podiumsdiskussion über die Bearbeitung von Konflikten vor Ort

Am 30. Oktober 2024 feierte die ConflictA ihren offiziellen Auftakt. „Konflikte beforschen, besprechen, bearbeiten und daraus lernen“ – mit diesem Ziel arbeitet das Team seit über einem Jahr am Aufbau der Konfliktakademie an der Universität Bielefeld. Zusammen mit einer Vielzahl an Gästen aus Wissenschaft, Praxis, Politik und Zivilgesellschaft tauschten sich die Mitarbeiter:innen über aktuelle gesellschaftliche Konflikte und Möglichkeiten  zu ihrer Bearbeitung aus.

Foto: Horst Krückemeier/www.hokrue.de

Die Podiumsdiskussion „Stadt, Land, Konflikt? Ein Gespräch über Konfliktbearbeitung ‚vor Ort'“ war ein zentraler Programmpunkt. Unter der Moderation von Aisha Camara kam das ConflictA-Team mit eingeladenen Gästen und dem Publikum zur Rolle von Konflikten im kommunalen Raum ins Gespräch: Was ist eigentlich der ‚Elefant im Raum‘, wenn wir über Konflikte reden? Welche Konflikte werden benannt und von wem? Unter welchen Bedingungen kann ihre Bearbeitung stattfinden? Und was hat das mit Demokratie zu tun? Brauchen wir andere Formen der Konfliktbearbeitung, um der Komplexität gegenwärtiger Konfliktlagen gerecht zu werden? Oder: Wie kann Konfliktbearbeitung auf Höhe der Zeit aussehen?

Foto: Horst Krückemeier/www.hokrue.de

Isabella Bauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der ConflictA und selbst als Konfliktberaterin in Kommunen aktiv, betont zum Einstieg in die Diskussion die Bedeutung von Kommune für Konfliktbearbeitung. „Es ist der Ort, an dem Konflikte unmittelbar erfahren werden, und deshalb ist ihre Bearbeitung auch dort so wichtig.“ Uwe Gerwin, Leiter des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Gelsenkirchen, knüpft daran an und berichtet über die Herausforderungen in Gelsenkirchen. Mögliche Lösungsansätze bringt er gleich mit ein: Es brauche multiprofessionell begleitete Strukturen, in denen Bewohner:innen eines Ortes lernen können, eigenständig Fragen und Konflikte des gesellschaftlichen Miteinanders zu regeln. Der kommunalen Verwaltung kommt aus seiner Sicht die wichtige Rolle zu, hierfür Strukturen bereitzustellen und zu stärken. Zur Rolle von Verwaltung in der Konfliktbearbeitung liefert Sonja Fücker, Leiterin des Arbeitsbereichs ‚Kommunale Konfliktbearbeitung‘ der ConflictA und Mediatorin, Ergebnissen aus der laufenden Forschung an der ConflictA. In einem Projekt wurden bundesweit kommunale Entscheidungsträger:innen und Verwaltungsangestellte zu ihrer Sicht auf und der Erfahrung mit Konflikten befragt. Klar werde: Die erfolgreiche Bearbeitung von Konflikten hänge ganz wesentlich vom persönlichen Engagement Einzelner ab. Nach Einschätzung eines Großteils der Befragten werden bei ihnen vor Ort Konflikte durch den Einsatz engagierter Mitarbeitender geregelt. Tatsächlich konstruktive Lösungen zu finden sei aber eine große Herausforderung – dies gelinge bislang nur in wenigen Fällen. Es fehle sowohl an professioneller Unterstützung von außen wie dies K3B (Konfliktberatung des VFB Salzwedel e.V.) und forumZFD leisten. Es fehle ebenso an internen Strukturen in den Kommunen, um professionalisiert Konflikte zu managen – möglichst bevor sie eskalieren – und dabei bereichsübergreifend zusammenarbeiten. Hier setzt der Ansatz eines Kommunalen Konfliktmanagementsystems an, der im Rahmen der ConflictA durch die CommunAid GmbH in Modellkommunen angewandt wird, um aufbauend auf bereits vorhandene Strukturen nachhaltige Wege der Konfliktbearbeitung einschlagen zu können.

Foto: Horst Krückemeier/www.hokrue.de

Damit wurde der Bogen zur Frage gespannt, welche Rolle Konfliktbearbeitung eigentlich für Demokratie hat. Christof Starke, Projektleiter und Koordinator für lokales und politisches Engagement sowie Konflikttransformation vom Friedenskreis Halle e.V., bekräftigt, dass eine Kultur der offenen Debatte notwendig sei. Entscheidungsträger:innen und betroffene Konfliktakteur:innen müssten bereit sein, Diskrepanzen auch in hitzigen und sensiblen Konfliktsituationen öffentlich diskutier- und verhandelbar zu machen. Beate Küpper, Konfliktforscherin von der Hochschule Niederrhein, sieht in jenem häufig geforderten Ruf nach mehr Dialog auch eine Gefahr. Sie warnt: Die intensive öffentliche Diskussion von Konflikten kann auch Rechtspopulisten oder Rechtsextremen in die Karten spielen. Und zwar dann, wenn sie Konflikte für die eigenen Zwecke instrumentalisieren, bisweilen sogar anzetteln. Dabei stehe eben keine konstruktive Lösung von Konflikten im Vordergrund, sondern – als erklärte Strategie – das Interesse an Eskalation und Chaos. Inga Nehlsen, Referentin im Programm „Kommune & Konflikt“ des forumZFD e.V. setzt dem entgegen, dass ein Ausbleiben von aktiver Beschäftigung mit Konflikten im Umkehrschluss verheerende Folgen für das demokratische Zusammenleben hätte.

Letztlich sind sich die Diskutierenden einig: Problematisch ist nicht der Dialog und der Einsatz für ein konstruktives ‚Miteinanderreden‘ über Konfliktlagen, sondern das Ausbleiben einer konsequenten Bearbeitung, ohne naiv über jedes Konflikt-Stöckchen zu springen. Vor allem dann, wenn einige Akteure das Interesse an einer gemeinsamen Klärung nur vorgeben. Die Diskussionsrunde schließt mit einem Ausblick: Demokratie braucht sowohl geeignete Strukturen der Konfliktbearbeitung als auch eine aktive Zivilgesellschaft, in der Menschen bereit und in der Lage sind, Differenzen auszutragen, um so die Bedingungen ihres Zusammenlebens gewaltfrei zu gestalten. Eine demokratische Konfliktkultur dieser Couleur lebt vom Lernen durch Konflikte und dem Verstehen, wie sie entstehen und was hinter ihnen liegt.

Begleitet wurde die Diskussion durch eine Mentimeter-Befragung des Publikums: „Welche Konflikte erleben Sie bei sich vor Ort?“. Ein vielfältiger Strauß an Antworten kam dabei ans Licht: Mobilität, Asylpolitik, Lärm, Rassismus, Identität, Drogenkonsum oder rechte Mobilisierungen in der Gesellschaft. Am häufigsten wurde der sehr spezifische „Algorithmus-Konflikt“ genannt. Der, wie sich später herausstellte, durch einen Gast bewusst mehrfach genannt wurde, um die Manipulationsgefahr im digitalen Raum zu veranschaulichen. Das ist gelungen.

Teilgenommen haben an der Diskussion:

  • Isabella Bauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Kommunale Konfliktbearbeitung“ an der ConflictA und zudem als zertifizierte Beraterin, Mediatorin und Moderatorin tätig.
  • Sonja Fücker leitet den Arbeitsbereich „Kommunale Konfliktbearbeitung“ an der ConflictA. Als promovierte Soziologin und Mediatorin erforscht und begleitet sie Prozesse der  Konfliktbearbeitung.
  • Uwe Gerwin ist Referatsleiter des Kommunalen Integrationszentrums der Stadt Gelsenkirchen.
  • Beate Küpper ist Professorin für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen sowie stellvertretende Leiterin des Institutes SO.CON an der Hochschule Niederrhein. Sie ist Mitglied im Direktorium der ConflictA.
  • Inga Nehlsen ist Referentin im Programm „Kommune & Konflikt“ des forumZFD e.V. und leitet ein Projekt zur Unterstützung von Kommunen bei der Bearbeitung von Konflikten.
  • Christof Starke ist beim Friedenskreis Halle e.V. Projektleiter und Koordinator für lokales und politisches Engagement sowie Konflikttransformation. Er ist zudem tätig an der Hochschule Merseburg und aktiv in der Netzwerk- und Lobbyarbeit.