06.12.2024

„Bremer Platanenstreit“ – Szenen eines kommunalen Konfliktes und die Frage „Wie können Kommunen mit Konflikten umgehen?“

von Marje Trescher

Wie können Kommunen Konflikte vor Ort bearbeiten? Dieser Frage ging die ConflictA in dem Panel „Bremer Platanenstreit – Szenen eines kommunalen Konfliktes“ im Rahmen ihrer Auftaktveranstaltung am 30. Oktober nach. Angeleitet von Gästen aus der Konfliktbearbeitung bekamen die Panelteilnehmenden Einblicke in die praktische Umsetzung unterschiedlicher Methoden und Ansätze. 

Gesellschaftliche Konflikte stellen Kommunen vor besondere Herausforderungen: Sie haben politische Lösungen für Konflikte zu finden und zugleich vielfältige Interessen aus lokaler Bevölkerung, Zivilgesellschaft und z.B. Wirtschaft zu berücksichtigen. Beispiel eines gesellschaftlichen Vor-Ort-Konflikts ist der Bremer Platanenstreit, in dessen Zentrum 136 Platanen stehen, die im Zuge von Hochwasser- und Deichschutzmaßnahmen gefällt werden sollen. Gegen diese Entscheidungen aus Politik und Verwaltung formiert sich seit 2016 in der Bremer Stadtgesellschaft Widerstand. Trotz wiederholter Bürgerbeteiligung ist eine Verständigung gescheitert. Nach einem Rechtsstreit bestätigte der Bremer Staatsgerichtshof im März 2024 letztlich die Ablehnung eines Volksbegehrens durch den Senat von Dezember 2022 mit der Begründung, dass Hochwasserschutz Vorrang gegenüber Umweltschutz habe.  

Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Interessenlagen und Ausgangsbedingungen vor Ort, haben sich in den vergangenen Jahren immer mehr Ansätze zur Konfliktbearbeitung im kommunalen Raum entwickelt. Drei davon lernten die rund 30 Panelteilnehmenden aus Verwaltung, Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Institutionen in einem ko-kreativen Entwicklungsspiel kennen: Während Daniel Hitschfeld (navos Public Dialogue Consultants GmbH) sie mitnahm in die informelle Bürgerbeteiligung, gab Gisela Kohlhage (Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende/Participolis Akademie GmbH) Einblick in ihr Vorgehen als ausgebildete Mediatorin. Hauke Steg (Forum Ziviler Friedensdienst e.V.) zeigte ein mögliches Vorgehen nach dem systemischen Ansatz der Kommunalen Konfliktberatung.

Foto: Horst Krückemeier/www.hokrue.de

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion berichteten die Teilnehmenden zunächst von ihren Eindrücken aus den Workshopgruppen: Welche Aha-Momente gab es? Was hat gut gefallen? Wo liegen Herausforderungen des jeweiligen Ansatzes? Aus der Gruppe von Gisela Kohlhage (Mediation) gab es das Feedback, dass man beeindruckt war, dass die Verantwortlichkeit bei den Konfliktbeteiligten verbleibt. Die größte Herausforderung wurde darin gesehen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Diese Herausforderung sah – neben einem hohen Zeitaufwand – auch die Gruppe von Hauke Steg. Den systemischen Ansatz befand sie zugleich als konstruktiv.

Bei Daniel Hitschfeld (informelle Bürgerbeteiligung) fanden die Teilnehmenden insbesondere die Frage interessant, welche Zielgruppen berücksichtigt werden sollten, wann man diese anspricht und wie eine Einigung bei sehr unterschiedlichen Interessen erfolgen kann.

Auf dem Podium begrüßten die ConflictA-Moderatorinnen zur Diskussionsrunde rund um die Geschehnisse im Bremer Platanenstreit und allgemein herausfordernde Entwicklungen für Kommunen neben Gisela Kohlhage, Daniel Hitschfeld und Hauke Steg einen weiteren Gast: die Berliner Mediatorin Beate Voskamp (Mediator GmbH). Als Moderatorin von zwei Runden Tischen in Bremen, blickte Beate Voskamp auf den Umgang von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft mit dem Konflikt um die 136 bedrohten Platanen zurück und ordnete aus ihrer Sicht ein, wieso keine Einigung gefunden werden konnte und welche Hürden sich im Laufe des Prozesses ergeben hatten. 

Im Anschluss stellten die Moderatorinnen dem Podium die Frage, was es mit einer Stadtgesellschaft mache, wenn sie sich bei Beteiligungsprozessen nicht ernst genommen fühle. Gisela Kohlhage betonte, dass man keine Schein-Beteiligung machen sollte, da die Bürger*innen sonst frustriert seien. Daniel Hitschfeld ergänzte, dass häufig der falsche Eindruck bestehe, wenn man nur laut genug sei, könne man etwas bewegen. Für Hauke Steg sind Emotionen ein wichtiger Aspekt in den betreffenden Prozessen, da sie Hinweise auf nicht erfüllte Bedürfnisse lieferten.

Auf die Frage, ob die verschiedenen Ansätze der Konfliktbearbeitung eigentlich in Konkurrenz zueinander stünden, reagierten die Podiumsgäste gelassen: Es gäbe genug für alle zu tun! Wichtiger als Konkurrenzdenken sei ein Bewusstsein dafür zu wecken, dass diese Ansätze in Konfliktsituationen hilfreich sein könnten. Des Weiteren könne man sie vielmehr als verschiedene ineinandergreifende Bausteine verstehen, die in unterschiedlichen Situationen hilfreich sein können. Daher sei es gut voneinander und den verschiedenen Ansätzen zu wissen, um gegebenenfalls aufeinander verweisen zu können. Eine dringende Handlungsempfehlung war, dass es eine qualifizierte Beratung für Kommunen darüber geben sollte, welches Verfahren für sie angesichts einer bestimmten Konfliktsituation geeignet sein könnte.

Zum Abschluss wagte die Diskussionsrunde einen Antwortversuch auf die Frage, welche Herausforderungen und Konflikte auf Kommunen künftig zukommen werden. Hauke Steg prognostizierte mehr Herausforderungen mit hoher Komplexität, erlebe aber gleichzeitig eine größere Offenheit, sich mit Konflikten zu beschäftigen. Daniel Hitschfeld sah ebenfalls mehr Konfliktpotenzial, insbesondere mit Blick auf anstehende Transformationen, stellte aber auch fest, dass es etwa beim Energieträger Wasserstoff viel Begeisterung in der Öffentlichkeit gibt, ebenso wie den Wunsch, hier schnell Fortschritte zu erzielen. Gisela Kohlhage sorgte sich mit Blick auf das neue Beschleunigungsgesetz, dass die Energiewende über den Naturschutz gestellt werde und daraus großes Frustrationspotential entstehen könnte. „Reden muss stattfinden, damit Technologien angenommen werden können“, so ihr Resümee. Ein passendes Schlusswort nach zwei Stunden intensiver Diskussionen und Austausch über kommunale Konflikte fand Beate Voskamp, als sie die Podiumsdiskussion mit einer positiven Erkenntnis enden ließ. Sie verwies darauf, dass wir Menschen nach dem bekannten Hirnforscher Gerald Hüther zwei Grundbedürfnisse haben: „Autonomie und Verbundenheit. Und wenn wir es als Gesellschaft hinbringen, diese wieder in den Fokus zu nehmen und wieder mehr Liebe – verstanden als unbedingtes Interesse an der Entfaltung des anderen – in unser Tun zu bringen, bin ich zuversichtlich, dass wir als Menschheit eine lebenswerte Zukunft haben können.“