13.03.2025

Dissens in der Demokratie – Brauchen wir eine dialogorientierte Konfliktkultur?

von Franka Büssing & Lilly Roll-Naumann

Wenn wir an der ConflictA von Dialog sprechen, verstehen wir darunter eine Art des Sprechens und Zuhörens, die über das Alltagverständnis hinausgeht. Sie beinhaltet eine Offenheit, sich auf den Gesprächsprozess einzulassen und sich von diesem verändern zu lassen. Dialog wird dabei explizit von der Debatte unterschieden, da es nicht darum geht, das Gegenüber mit Argumenten zu überzeugen, sondern es zu verstehen und die andere Position durch einen Perspektivwechsel nachzuvollziehen.
Lilly Roll-Naumann, ConflictA

Debatten werden immer binärer geführt, Menschen stehen sich vermehrt in polarisierten Lagern gegenüber – besonders bei Themen wie Migration, Klimakrise und Gender wird es schnell hitzig. Dabei scheint es meist mehr darum zu gehen, die eigene Position durchzusetzen als die andere zu verstehen. Diese Problemlage wurde auch während der Auftaktveranstaltung der ConflictA am 30. Oktober 2024 aus verschiedenen Blickweisen wiederholt skizziert. Auf Basis dessen widmete sich eines der Abschlusspanels der Frage, welche Rolle Dialog in unserer Demokratie spiele, die von Begegnung, Konflikt und dessen konstruktiver Austragung lebe, und wie er gestaltet werden könne. Moderatorin und ConflictA-Forscherin Lilly Roll-Naumann näherte sich dieser Frage im Gespräch mit Mo Asumang, Ali Can und Ahmad Dakhnous, deren Arbeit sich um Dialog und Verständigung dreht.

Was bedeutet Dialog aus Praxisperspektive?

Ali Can hat lange Zeit auf Pegida-Demos oder über die von ihm begründete Hotline für besorgte Bürger das Gespräch mit Menschen gesucht, die Vorbehalte und Sorgen zu den Themen Asyl, Migration und Integration haben. Für ihn bedeute Dialog, im Gespräch den Fokus auf das Senden zu reduzieren und sich mehr aufs Empfangen zu konzentrieren. Das heiße, nicht immer direkt ein Gegenargument vorzubereiten, sondern erst einmal zuzuhören und zu versuchen, die andere Person zu verstehen.

Mo Asumang begegnet in ihrem Film Die Arier Rechtsextremen in Deutschland und den USA mit zahlreichen teils entwaffnenden Fragen. Mit dem von ihr mitbegründeten Verein mo:lab vermittelt sie diese Dialogfähigkeit und -haltung in praktischen Trainings. Sie bezeichnet ihren Weg als hero’s journey: So sei sie keinesfalls schon immer so mutig gewesen, mit Rechtsextremen zu sprechen, aus deren Gruppe Anfeindungen und Drohungen gegen sie als Schwarze Frau des öffentlichen Lebens kamen, sondern habe sich den Mut erarbeiten müssen. Heute sei Dialog für sie eine erlernbare Haltung, die eine besondere Offenheit und Neugierde an dem Gegenüber und seinen Einstellungen beinhalte.

Ahmad Dakhnous ist politischer Bildungsreferent für Antisemitismus, Rassismus und den Konflikt um Israel und Palästina. Als Trialogpate arbeitet er in dem gleichnamigen Projekt, das nach dem 7. Oktober 2023 von Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun ins Leben gerufen wurde, um den Konflikt um Israel und Palästina insbesondere an Schulen besprechbar zu machen. Ein Fokus der Trialoge liegt neben einer multiperspektivischen Annäherung darin, Emotionen zu dem Konflikt einen Raum zu geben. Dialog ist Ahmad Dakhnous zufolge keineswegs voraussetzungsfrei – mehr dazu im Folgenden.

Welche Gelingensfaktoren und Grenzen definieren Dialog?

Ali Can betont die Suche nach Gemeinsamkeiten, um einen Einstieg ins Gespräch zu erleichtern und sich für das Gegenüber zu öffnen, als einen Faktor, der zum Gelingen von Dialog beiträgt. Dazu gehöre auch eine positive Absicht und ein ehrliches Interesse an der anderen Person anstatt einer konfrontativen Haltung, die direkt auf ein Gegeneinander abzielt. Ahmad Dakhnous ergänzt die Zentralität von Ambiguitätstoleranz, um Dialog zu führen. Es könne eine Gleichzeitigkeit verschiedener Perspektiven zu einem Thema vorherrschen, welche sich nicht immer widersprechen müssten, sondern auch nebeneinander existieren könnten. Dies werde besonders im Israel-Palästina-Konflikt deutlich. Für Dakhnous gehöre es zur Demokratie dazu, Mehrdeutigkeiten zuzulassen und sie als einen Aushandlungsprozess zu verstehen.

Während des Panels wurde außerdem deutlich, dass Offenheit und klare Grenzsetzung im Dialog kein Widerspruch sein müssen, sondern sich gegenseitig erst ermöglich. Mo Asumang verwendet und propagiert dafür das mo:lab-eigene Stoppschild, um eine persönliche Grenze zu kommunizieren und gleichzeitig die generelle Gesprächsbereitschaft zu signalisieren: „So nicht, anders gerne.“ Auch Ahmad Dakhnous verteidigt gewisse Grundsätze, die auch im Dialog nicht hinterfragt werden dürften, wie etwa die Anerkennung der Existenz sowohl von Israelis als auch von Palästinenser*innen.

Ali Can betont, dass auch die Frage relevant sei, wer den Dialog führe. Als von Rassismus betroffene Person sei es beispielsweise eine besonders herausfordernde Situation, dialogische Gespräche mit extrem rechten Menschen zu führen. Entsprechend liege es im Rahmen der eigenen Entscheidungsfreiheit, dies bewusst abzulehnen. An dieser Stelle würden Verbündete von Betroffenen wichtig, die sich in der Lage fühlten und trauten, solche Gespräche zu führen.

Und welche Rolle spielen Machtverhältnisse im Dialog?

Ahmad Dakhnous zufolge gelte es bei der Auseinandersetzung mit der Rolle von Macht im Dialog einerseits, zu fragen, wer überhaupt eine Stimme habe und aus welchen (Macht-)Positionen Menschen Dialog führten. So würden Unterschiede in materiellen, zeitlichen oder sprachlichen Ressourcen es Menschen vereinfachen oder erschweren, überhaupt Dialog zu führen. Andererseits könnten bestehende ungerechte Machtverhältnisse nicht mit Hilfe von Dialog aufgelöst werden, sondern erforderten konkrete politische Arbeit, um beispielsweise Druck auf die eigene Regierung auszuüben. Damit spricht Ahmad Dakhnous sich dafür aus, Dialog und andere Konfliktinterventionen wie etwa politischen Protest nicht als sich gegenseitig ausschließend zu betrachten, sondern nebeneinander existieren zu lassen.

Die gemeinsame Auseinandersetzung zum Thema Dialog hat nicht nur die Wichtigkeit und Vielschichtigkeit der Thematik deutlich gemacht, sie bereitet auch den Weg für zentrale Fragen zu ihrer Vertiefung – etwa wie mit Machtverhältnissen in Dialogräumen transformativ umgegangen werden kann oder wie sich Dialog und andere Konfliktinterventionsformen bestmöglich ergänzen und gegenseitig bereichern können. Glücklicherweise geht nicht nur unsere ConflictA-eigene wissenschaftlich und praktisch orientierte Arbeit weiter, sondern ebenso die engagierter Menschen im Feld von politischer Bildung, Aktivismus und Kultur, die Dialogfähigkeit in die Gesellschaft tragen und sich für ein gleichberechtigtes Miteinander einsetzen.