von Mareike Wilke
Wenn wir an Gewalt gegen Frauen denken, könnte man meinen, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen, denn:
Jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch ihren Partner oder Expartner. In 2023 wurden laut Bundeskriminalamt (BKA) 250.000 Fälle häuslicher Gewalt verzeichnet, davon waren nahezu 80% Partnerschaftsgewalt gegen Frauen. Daneben stehen 15.000 fehlende Frauenhausplätze und ein so dringend benötigtes Gewalthilfegesetz „in der Pipeline“. Eigentlich fertig, aber noch immer nicht verabschiedet.
Wie sichtbar ist also Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft, für unsere Politik?
Die ConflictA Auftaktveranstaltung am 30. Oktober 2024 in der Ravensberger Spinnerei bot Raum für ein Panel zu dieser Thematik. Als Expert*innen sprachen darüber die Rechtsanwältin für Familien- und Strafrecht und Autorin Christina Clemm, die Mitarbeiterin des autonomen Frauenhauses in Bielefeld Beatrice Tappmeier, die Aktivistin und Gründerin von „Catcalls of Bielefeld“ Pia Brauneis und der Sozialarbeiter Jörg Weltzer. Vier Expert*innen mit sehr verschiedenen Blickwinkeln auf die tatsächlichen Gewalträume, in denen Frauen sich –mitunter– tagtäglich wiederfinden und mit denen sie leben müssen.
Frau Clemm legte den Fokus vor allem auf die strukturelle Ebene, indem sie ihre ernüchternden Erfahrungen aus zahlreichen Gerichtsverfahren geteilt hat: Es fehle in der Justiz allem vorweg an auf das Thema „Gewalt gegen Frauen“ sensibilisierten Mitarbeiter*innen, die ihre Zeug*innen-Befragungen angemessen durchführen. Nicht selten seien Opfer retraumatisierenden Zeuginnenaussagen ausgesetzt und bräuchten im Nachgang weitere psychologische Unterstützung um das vor Gericht Erlebte zu verarbeiten. Die traurige Folge dieser Umstände vor Gericht sei ein immer größer werdendes Dunkelfeld, weil Taten schlichtweg aus Angst vor für die Opfer unangenehmen und schmutzigen Prozessen nicht angezeigt würden.
Beatrice Tappmeier erzählte von ihrem Alltag im Frauenhaus. Davon, dass die Frauen sich dort untereinander die größte Hilfe sind – wenn sie denn das Glück haben dort zusammenzukommen. Denn neben der eingangs erwähnten Problematik um die fehlenden freien Plätze im Frauenhaus haben Frauen noch mit etlichen weiteren Hürden zu kämpfen: Es braucht emotionale Ressourcen zum stundenlangen Telefonieren, abgewimmelt werden und beim nächsten Frauenhaus anzurufen. Es braucht den Mut, das soziale Netz, die gewohnte Umgebung zu verlassen und in nicht wenigen Fällen hunderte Kilometer weit weg den Neuanfang zu wagen.
Pia Brauneis nahm uns mit in die Welt der Gewalträume auf offener Straße. Sie erzählte, wie sie zur Aktivistin geworden ist und was sie und ihre Mitstreiterinnen von „Catcalls of Bielefeld“ tun: Sie erobern verlorene Räume zurück, indem sie die Scham der sexuellen Belästigung mit Kreide auf die Straße malen. Sie zögen zum „Ankreiden“ nie allein los, denn die Reaktionen auf ihre Malereien seien nicht immer ungefährlich. „Catcalls of Bielefeld“ sammelt all diese unsäglichen Erfahrungen sexueller Belästigung auf Instagram (@CatcallsOfBielefeld).
Zuletzt erfuhren wir von Jörg Weltzer mehr über den Gewaltraum Schulhof. Darüber, dass er bei „den ganzen Themen um Gendern und Sensibilisierung manchmal nur mit dem Kopf schütteln könne“ – ginge es doch in seinem Arbeitsalltag um sehr viel basalere Dinge, wie beispielsweise „jungen Männern nahezubringen, dass es nicht die Regel sei, dass ihre Freundinnen ihnen ihr Handy freiwillig zum Kontrollieren der gespeicherten männlichen Kontakte in die Hand geben“. An dieser Stelle und bei Herrn Weltzers Ausführungen über die Zustände unter noch sehr jungen Mädchen und Jungen blickte man im Publikum in fassungslose Gesichter.
Im Gespräch mit dem Publikum zu all dem Gehörten sammelten sich vor allem brennende Fragen: Was können wir ändern? Wie können wir etwas ändern? Was brauchen wir?
Klar ist, dass auf allen Ebenen etwas passieren muss. Unsere Gesellschaft muss ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Gewalt gegen Frauen kein Problem der Opfer ist, sondern uns als Gemeinschaft schwächt. Dass der unzureichende Umgang mit der Thematik die Gewalträume und vor allem die Täter stärkt. Dass eine ConflictA im ersten Schritt Raum bieten kann, über das Thema zu sprechen und im Weiteren Handlungsempfehlungen für Justiz, Polizei und Politik ausarbeiten kann und soll.
Das nehmen wir uns als Arbeitsauftrag aus diesem Panel mit. Wir werden weiter daran arbeiten, Eigenverantwortung zu stärken und vor allem verschiedene Fachmenschen zusammenbringen, so lange, bis sich im Publikum solcher Gesprächspanels endlich auch die Menschen wiederfinden lassen, denen die Gewalträume gegen Frauen noch nicht sichtbar (genug) sind. Mit denen möchten wir endlich anfangen zu reden, denn wie Christina Clemm in ihrem aktuellem Buch „Gegen Frauenhass“ so treffend schreibt: „Schweigen hilft nicht“.